Riesig war das Interesse, zu sehen, was aus der ehemaligen St. Johanneskirche in Bertlich und ihrem besonderen Wandmosaik geworden ist. 60 Besucherinnen und Besucher waren es am Mittwoch, den 11. Dezember 2024, die sich neugierig drängten in den neuen und noch nicht ganz fertiggestellten Räumen des umgebauten Kirchenhauses, aus dem der Inverstor Eckhard Klein einen ganz besonderen Wohnkomplex geschaffen hat.
Und Eckhard Klein hat zugesagt, einen weiteren Termin anzubieten, um all die Besuchswünsche zufriedenstellen stellen zu können, die es nach den Anmeldungen bei STADT.KUNST gegeben hat und die nun zunächst nicht berücksichtigt werden konnten.
In Gruppen fanden parallel die Führungen durch das Haus sowie vor das Mosaik statt. Dieses besondere Kirchenkunstwerk wirkt in neuer Umgebung verblüffend plastisch und leuchtend.
Von der Treppe in zwei Etagen zu betrachten, füllt die ehemalige Apsis mit dem Mosaik nun den Lichthof des Treppenhauses und ist zum Greifen nahe. Jedes einzelne Mosaiksteinchen wirkt plastisch und die Kunstfertigkeit, mit der das Mosaik gefertigt wurde, ist unmittelbar nachzuvollziehen.
Gregor Spohr erläuterte den Interessierten, was an Fakten zur Entstehung des Mosaiks und zur Künstlerin, der Nonne Erentrud Trost, bekannt ist. Seine Ausführungen sind im Anschluss wiedergegeben. Aus der Runde der Besucherinnen und Besucher gab es interessante Ergänzungen und eine Reihe von persönlichen Erinnerungen aus der Zeit ihrer Kirchenbesuche oder Messdiener-Einsätze. Deutlich wurde, wie viele Mitglieder der Kirchengemeinde an diesem Abend dankbar die Veranstaltung genutzt haben, um „ihre Kirche“ noch einmal wiederzusehen, wenn auch in komplett neuem Erscheinungsbild.
Aber auch der Rundgang mit Eckhard Klein machte deutlich, wie groß das Bemühen des Investors war, die Historie des Gebäudes als Kirche noch zur Geltung kommen zu lassen: Alte Altarstufen, Teile einer Nische – demnächst hinter Glas, aber vom Keller aus sichtbar – der alte Grundstein mit dem Erbauungsjahr, das sichtbare Gebälk im Obergeschoss, eine Reihe von Fenstern mit Spitzbögen und der Blick und Weg hinauf bis in den Glockenturm zeugen vom Fingerspitzengefühl im Umgang mit der Historie. Und für zwei Fundstücke aus der Kirche – eine hölzerne Heiligenfigur und den alten Tresor, in dem die Hostien aufbewahrt wurden – sucht Eckhard Klein noch einen endgültigen Standort im Haus.
Bei diesem ungewöhnlichen Bauvorhaben war es kein Wunder, dass auch das Interesse an der neuen Immobilie „Wohnen in St. Johannes“ für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein Beweggrund war, zu kommen und zu schauen, wie es geworden ist.
Das Mosaik in der ehemaligen St. Johannes-Kirche
In der katholischen Kirche St. Johannes in Bertlich wurde 1964 die Chorwand hinter dem Altar großflächig mit einem Bild des Himmlischen Jerusalem ausgestattet.
1963 wurde die Ordensschwester Erentrud Trost aus dem Benediktinerinnen-Kloster Varensell in Rietberg bei Gütersloh beauftragt, ein Mosaik zu entwerfen, das die Konche hinter und über dem Altar schmücken soll. Eine Konche ist in der Architektur eine Einbuchtung oder halbrunde Wandnische , die in der Regel nach oben mit einer Halbkuppel abgeschlossen ist. Im Kirchenbau kann eine Apsis, also der östliche Abschluss des Kirchenraums, oder eine Seitenkapelle als Konche angelegt sein.
Der Grundstein für die St. Johanneskirche war 1932 gelegt worden. Die halbrunde Wandnische hinter dem Altar schmückte ein großes Gemälde des Heiligen Johannes. Ein Besuch von Pfarrer Joseph Hülsmann in Ravenna brachte ihn Anfang der 1960er Jahre auf die Idee, die Nische mit einem Mosaik versehen zu lassen. Ravenna ist sozusagen die Mosaik-Welthauptstadt. Ravennas Mosaike aus byzantinischen und frühchristlichen Zeiten zählen zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Eine Reise von Gemeindemitgliedern nach Ravenna bestärkte den Plan. Das Geld für das Rohmaterial dieses Mosaiks wurde durch Spenden der Gläubigen in Bertlich in Höhe von 40.000 DM eingebracht.
Das Thema der Darstellung wurde der Apokalypse des Johannes entnommen. Die Apokalypse oder Offenbarung des Johannes ist das letzte Buch des Neuen Testaments. Es wurde vor allem zur Stärkung der inneren Strukturen des jungen Christentums geschrieben und als eine Trost- und Hoffnungsschrift für unterdrückte Christen während der Christenverfolgungen im Römischen Reich verfasst.
„Beati, qui ad cenam nuptiarum agni vocati sunt“ – Selig sind diejenigen, die zum Hochzeitsmahl des Lammes berufen sind.
Der Entwurf orientiert sich jedoch keineswegs an italienischen oder anderen Vorbildern, sondern bietet Neues: Die ausgestreckte Hand als eigentlicher Zugang in die Stadt ist einzigartig. Auch die gebogene Staffelung der Wandpartien mit elf Toren ist ein Einfall der Nonne. Schließlich ist auch die Kombination von Himmlischen Jerusalem oben und Abendmahlszene unten ohne Vorbild.
Bis zum Jahresende 1963 war der Entwurf fertiggestellt. Unmittelbar danach wurde ein Gerüst aufgestellt, damit die Rundung maßgerecht gezeichnet werden konnte, und im Juni 1964 begannen Benediktinerinnen, das Mosaik zu setzen. Die Steine wurden auf Platten geklebt und nummeriert. Über 1.075 Platten waren in Varensell entstanden und wurden dann von den Nonnen Erentrud, Bonaventura und Laeta in den frischen Putz gesetzt. Die einzelnen Steine sind mit ihrer zumeist querrechteckigen Form und ihrer Größe von durchschnittlich 5×3 cm sehr viel größer als klassische Mosaike. Die Aufsetzung der Mosaikplatten musste nach einer festen Ordnung geschehen, der Zement durfte nicht zu hart sein. Er wurde am Tage vorher grundiert, dann frisch geputzt und darin die Mosaikplatten gesetzt. Dann kamen die vielfältigen Ausbesserungen. Sobald die Platten einen Tag festsaßen, wurden das Papier und der Klebstoff abgewaschen. Später musste der Zement abgewaschen und abgekratzt werden. Die Arbeiten waren dennoch bis zum Jahresende abgeschlossen.
Ein Gemeindemitglied, das damals als Messdiener in St. Johannes die Arbeiten der Nonnen beobachten konnte, erinnert sich, dass ihm einmal nach einer Messe Erentrud Trost ein paar Mosaiksteinchen schenkte. „Leider habe ich sie nicht mehr.“
Mit 130 Quadratmetern gilt das Mosaik heute als das größte Kirchenmosaik nördlich der Alpen.
Wer war diese spannende Künstlerin Erentrud Trost?
Wilhelmine Trost, so ihr ursprünglicher Name, wurde am 7. März 1923 als Tochter eines Metzgermeisters in Paderborn geboren und hatte noch zwei Schwestern und drei Brüder.
Sie besuchte in Paderborn das Gymnasium des Michaelsklosters. Wegen dessen zwangsweiser Schließung im Zweiten Weltkrieg musste sie an das Pelizaeus-Gymnasium wechseln und legte dort 1941 ihr Abitur ab.
1942 begann sie in Köln ein Medizinstudium und bestand 1944 das Physikum. Nach dem 1. klinischen Semester wurde sie 1944 als Narkoseschwester dienstverpflichtet. 1946 trat sie in die Abtei Varensell des Benediktinerordens ein, nahm den Ordensnamen Erentrud an, und legte im Juli 1953 ihre zeitliche und drei Jahre später die ewige Profess ab (Gelübde).
Von 1950 bis 1952 studierte sie an der Werkkunstschule in Münster Angewandte Kunst bei Vinzenz Pieper. Kunstreisen führten sie nach Italien, Frankreich, England und in die Niederlande. Seit 1955 war sie als Künstlerin überwiegend mit dem Entwurf von Glasfenstern und Mosaiken tätig – beginnend mit dem Neubau der Abteikirche St. Marien Varensell, deren gesamte Innenausstattung ihr übertragen wurde. Sie blieb bis zu ihrem Tod am 14. April 2004 Ordensschwester der Benediktinerabtei Varensell. Im Erzbistum Paderborn schuf sie eine große Zahl an Glasfenstern und Mosaiken. Ihre Arbeiten umfassen ferner Entwürfe für Paramentstickereien; in ihren späteren Jahren wandte sie sich der Buchmalerei zu und schuf u. a. gemeinsam mit Lioba Munz ein Evangelistar für den Mindener Dom.
Ein kompletter Werkkatalog von ihr existiert bislang nicht. Ihre erste Arbeit an der Varenseller Abteikirche war ein Mosaikbild mit dem Lamm aus dem siebten Kapitel der Offenbarung des Johannes. Das Lamm, auf einem kreuzförmigen Hintergrund stehend, ist umgeben von weißgekleideten Gestalten, von denen es heißt, dass sie vor dem Thron und vor dem Lamm stehen und Palmenzweige in den Händen tragen. Dieses Mosaik entwickelte Modellcharakter für zahllose spätere Aufträge aus dem In- und Ausland, so auch für das Mosaik in St. Johannes. Entsprechend lang ist die Werkliste, die Wikipedia unter ihrem Namen aufführt. Dabei fehlt dort sogar die Arbeit in Bertlich!
Ganz in der Nähe hat Erentrud Trost Glasfenster in der Marienkirche in Marl-Lenkerbeck und ein Mosaik in der St. Marienkirche in Haltern am See geschaffen. Ihr unverwechselbarer eigener Stil lässt sich vor allem am Ausdruck der Gesichter und an den Händen der Gestalten ablesen.
Hier in Bertlich haben Investor Eckhard Klein und Architekt Dr. Hermann Klapheck beim Umbau der Kirche zu einem Wohngebäude „Wort gehalten“ und das Mosaik in den Umbau integriert. Nun ziert es den Lichtschacht im Treppenhaus des Wohngebäudes.
Gregor Spohr
Zu den Quellen:
Die Angaben werden in verschiedenen Sekundärquellen zitiert und sind offensichtlich entnommen aus zwei Originalquellen:
– Joseph Hülsmann:Chronik St. Johannes, o.J., (im Besitz des Verfassers);
– Pfarrgemeinderat (Hrsg.): Pfarrei Sankt Johannes Baptist, Bertlich 1978;
Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Erentrud_Trost;
Mündliche Aussagen von Gemeindemitgliedern