Kunstprojekt „Eat Art Connections“ in Herten gestartet
Mit einem ebenso informativen wie malerischen Kunstspaziergang durch den Schlosspark ist das fünfstufige Kunstprojekt „Eat Art Connections – Buffet am Wasserschloss“, das maßgeblich von der LWL-Kulturstiftung gefördert wird, gestartet. Dem Kunstspaziergang folgte im Anschluss im ungewöhnlichen Ort der Schlosskapelle ein Vortrag der Kunsthistorikerin Dr. des. Ina Jessen aus Hamburg zur Einordnung des Projektes in die Eat-Art Geschichte sowie ein Gespräch zwischen ihr und der Berliner Künstlerin Sonja Alhäuser über deren zeitbasierte Installationskunst.
Künstlerin sichtete Orangerie-Relikte und den Ort des Geschehens
Erstmals sichtete Alhäuser Fragmente von Statuen, die die heute denkmalgeschützte Orangerie einst zierten. Nun plant sie, die Torsi im September in ihr Bankett einzuarbeiten. Ebenso will Sonja Alhäuser nach ihrem Besuch den von der Hertener Bürgerstiftung geführten Hof Wessels in Langenbochum mit seinem alten Backhaus einbinden. Begeistert war die Künstlerin von Schloss, Schlosspark und Orangerie als dem Schauplatz, an dem am 3. September ihr vergängliches Kunstwerk aufgebaut und verzehrt werden soll. Unter der Überschrift „Sonja Alhäuser – ein Oeuvre im Zeichen der Eat Art“ machte Jessen, die die Berliner Künstlerin seit Jahren begleitet und derzeit ein Lexikon für Speisen in der Kunst auflegt, die Entstehung von Eat Art sowie die Bedeutung von zeitbasierter Kunst in ihrem Vortrag geradezu lebendig.
Sonja Alhäuser bei der Sichtung der Orangerie-Relikte © Katrin Wegemann
Verschimmelte Kunst machte Eat Art populär – bei Alhäuser geht es ästhetischer zu
Bekannt wurde die Kunstrichtung in den 60er Jahren durch Vertreter wie Daniel Spoerri, der nach beendetem Essen in seinem Eat Art-Restaurant Reste und Geschirr auf Tischen künstlerisch arrangierte, oder durch Dieter Roth, der im Schimmelmuseum in einem abbruchreifen Kutscherhaus an der Außenalster in Hamburg Eat Art eintrocknen und inmitten schimmelnder Wände ausstellen ließ. Für Roth war das verrottende Gebäude der ideale Platz für die Umsetzung seines Konzepts vergänglicher Kunst. Sonja Alhäuser dagegen startete mit Installationen aus Schokolade oder Margarine-Skulpturen in Kühlvitrinen deutlich ästhetischer. Aus gutem Grund: Für Alhäuser ist Lust laut Jessen Lebensantrieb, und der ewige Kreislauf des Lebens beginnt durchaus auch mit einem gut gefüllten Magen.
Tafelinstallationen im Widerspruch zwischen Lustgewinn und Vergänglichkeit
So entstanden sind etwa die „Sechs Bankette ohne Anlass“. Für die Gelage lud sie ein Publikum zur nahezu orgiastischen Vertilgung ihrer jeweils einem spezifischen Thema gewidmeten Installationen ein. „Der überbordende, sinnlich kitzelnde Aufbau der Tafelinstallationen mit Skulpturen, handgemalten Wimpeln, Krustentieren wie Hummern oder Krebsen, kapitalen Fischen oder großen Wildbretstücken soll allerdings nicht nur dem lukullischen Genuss auf die Sprünge helfen, sondern steht generell für den unser aller Leben bestimmenden Widerspruch zwischen ständig erstrebtem Lustgewinn und ständig erstrebter Selbstoptimierung“, heißt es im begleitenden Katalog. In der Zerstörung liegt dabei eine wichtige Komponente Alhäusers Schaffens, wie bei einer Opfergabe, bei der die Festlichkeit einen Moment lang perfekt vorbereitet ist und dann anfängt zu bröckeln.
Erste Inspirationen lieferten Parkspaziergang und Sichtung der Fragmente
Nach gleichem Muster soll am 3. September am Hertener Wasserschloss nun wieder ein Buffet für die Öffentlichkeit entstehen. Ort des Geschehens wird die ehemalige Orangerie sein, die – heute denkmalgeschützt – mit ihrem neuen Dach nicht nur witterungsbedingt geschützt ist, sondern mit 35 Metern Länge und 10,5 Meter Breite auch verspricht, üppig daherzukommen. Nicht mit Austern, sondern mit Schätzen aus der lokalen Umgebung. Erste Inspirationen bekam Alhäuser zunächst durch digitale Bilder von Fragmenten der Orangerie, die sie in ihr Buffet einarbeiten wird, wie sie beim Kunstgespräch mit Dr. Jessen interessierten Bürgerinnen und Bürgern verriet. Darunter befinden sich eine Marienstatue wie auch der Torso des Herkules, der in der griechischen Mythologie zwölf Aufgaben erledigen musste, etwa eine lebendige Hirschkuh darzubringen oder einen unbesiegbaren Löwen zu bezwingen. Diese Relikte wird Alhäuser nicht nur im September auftischen, sondern auch mit Lebensmitteln vervollständigen. Arme aus Marzipan sowie Keulen aus Schokolade oder auch seltene Blüten aus Zuckerguss zum Beispiel vom Taschentuchbaum, der im Hertener Schlossgarten wächst, erzählen ganze Geschichten, bevor sie dem Zerfall, oder besser: dem Verzehr, preisgegeben sind.
KUNST.SPAZIERGANG im Schlosspark © Rainer Lange
Monatelange Vorbereitung durch gezeichnete Rezepte gehören dazu
Monatelang bereitet sich die Berliner Künstlerin auf dieses logistisch herausfordernde Ereignis vor, zeichnet Handlungsanweisungen in Form von detailreichen, humorvollen, überbordenden Skizzen mit beinahe filmischem Charakter. Rezepte werden hier nicht handschriftlich notiert, sondern gezeichnet. Alltägliche Begebenheiten stehen dabei neben barocken Putti oder wie in Herten barocken Skulpturen, die derzeit am Zentralbetriebshof eingelagert sind und einen enormen Schatz bergen, der pädagogisch durchaus wertvoll sein und auch über den 3. September hinaus weltweite Kunstgeschichte vermitteln könnte. So sollen bei einem Probelauf am 22. Juni auf dem Hof Wessels in Langenbochum kunstinteressierte Bürgerinnen und Bürger ebenso wie die Fachwelt an der Entstehung des opulenten Werkes mitwirken.
Herkules mit Keule, 2022, Aquarell, Buntstift, Acrylweiß auf Papier 29,7 x 42 cm, Sonja Alhäuser (VG Bild-Kunst)
Öffentliche Beteiligung ist Gegenpol zur einst geschlossenen Gesellschaft
Für die Initiative Stadt.Kunst sind die Einbindung der Bürgerschaft und das öffentliche Buffet ein gewollter Gegenpol zu den Gepflogenheiten der einst abgeschiedenen aristokratischen Gesellschaft, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit in der ehemaligen Orangerie Feste feierte und ihre Parks zum Müßiggang nutzen. „Eat Art Connections – Buffet am Wasserschloss“ ist daher ein temporärer Kunstgenuss, der die Beteiligten mit der Geschichte des Ortes verbindet und sie ins Hier und Jetzt transferiert – durch und durch bürgerlich und demokratisch. Sonja Alhäuser hofft nun, dass möglichst viele „Hertenerinnen und Hertener bereit sind, Basismaterial zu liefern.“